Wie sind Tierversuche in der Schweiz geregelt?
Im internationalen Vergleich verfügt die Schweiz über eines der strengsten Tierschutzgesetze. Dies bedeutet aber nicht, dass es kein Verbesserungspotential gäbe. Auch in der Schweiz sind manche Bestimmungen aus Sicht des Tierschutzes mangelhaft oder lassen Raum für Interpretation, der oftmals zu Ungunsten der Tiere genutzt wird.
Der Tierschutz ist in der Schweiz in der Verfassung festgeschrieben. Artikel 80 BV besagt, dass der Bund Vorschriften zum Schutz der Tiere erlässt und insbesondere Tierversuche und Eingriffe am lebenden Tier regelt.
Die Bestimmungen im Tierschutzgesetz
Diese Regelung wird im Tierschutzgesetz aufgenommen. In Artikel 3 wird zunächst der Begriff «Tierversuch» definiert. Die Artikel 10-12 befassen sich mit Züchtung, Bewilligung und Meldung von gentechnisch veränderten Tieren. Die entscheidenden Artikel in Bezug auf Tierversuche finden sich im 6. Abschnitt des Tierschutzgesetzes:
Artikel 17 regelt, dass Tierversuche auf das unerlässliche Mass zu beschränken sind. Hier wird der Grundstein für die Güterabwägung gelegt. Denn ein «unerlässliches Mass» lässt natürlich eine gewissen Interpretationsspielraum.
Artikel 18 legt fest, dass die Durchführung von Tierversuchen bewilligungspflichtig ist. Hier ist auch geregelt, dass Gesuche für Tierversuche kantonalen Kommission für Tierversuche unterbreitet werden müssen.
Artikel 19 gibt dem Bundesrat die Kompetenz, Anforderungen an Institute und Laboratorien, in denen Tierversuche durchgeführt werden dürfen, zu bestimmen. Beispielsweise bezüglich Aus- und Weiterbildung des Personals, aber auch bezüglich der Kriterien für das unerlässliches Mass. Zudem können bestimmte Versuchszwecke auch für unzulässig erklärt werden.
Artikel 20 regelt die Durchführung der Versuche. Unter anderem wird hier darauf verwiesen, dass Versuche nur gemacht werden dürfen, wenn keine geeignete Alternativmethode vorhanden ist.
Artikel 20a legt fest, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangen. Darunter fallen beispielsweise der Versuchszweck oder die Anzahl der verwendeten Tiere. Allerdings wird hier auch festgelegt, dass Veröffentlichungen darüber hinaus nicht den überwiegenden schutzwürdigen privaten oder öffentlichen Interessen entgegenstehen dürfen.
Ein weiterer relevanter Artikel ist Artikel 20b, welcher festlegt, dass es ein Informationssystem geben muss. Auch wichtig ist der Artikel 22. Dieser bestimmt, dass der Bund tierschutzrelevante wissenschaftliche Forschung betreiben muss, insbesondere auch an Alternativmethoden, welche Tierversuche ersetzen können. In Artikel 34 findet sich die Grundlage für die kantonalen Tierversuchskommissionen, in Artikel 35 jene für die eidgenössische Kommission. Artikel 36 schliesslich legt fest, dass es eine jährliche Statistik gibt.
Die Bestimmungen in der Tierschutzverordnung
Die Tierschutzverordnung schliesslich regelt die Umsetzung des Tierschutzgesetzes. Zudem wird das Gesetz ergänzt und vervollständigt. Verordnungen werden im Gegensatz zum Gesetz vom Bundesrat erlassen und nicht vom Parlament. Sie legt beispielsweise Artikel 112, der bestimmt, welche Tiere im Versuch überhaupt dem Gesetz unterstehen: Panzerkrebse ja, Bienen aber nicht.
In weiteren Artikeln sind die Anforderungen und Aufgaben von Versuchshalter:innen und Gehegen festgelegt. Artikel 122 regelt die Umsetzung der Bewilligungspflicht, welche in Artikel 18 des Gesetzes vorgeschrieben wird. Diese wird dann in den Artikel 139-142 noch weiter ausgeführt. Artikel 129 legt fest, dass an jedem Institut oder Laboratorium ein:e Tierschutzbeauftrage:r vorhanden sein muss. Artikel 135 regelt die Versuchsdurchführung, Artikel 136 definiert, was belastende Tierversuche sind und Artikel 137 legt die Kriterien für die Beurteilung des unerlässlichen Masses von belastenden Tierversuchen fest. Auch finden sich Artikel betreffend der Information der Öffentlichkeit und den kantonalen sowie eidgenössischen Kommissionen.
Die wichtigsten Begriffe einfach erklärt
Bei einer Güterabwägung werden das “Gut” von Wohl und Würde der Tiere in die eine und das “Gut” des erwarteten wissenschaftlichen Fortschritts und der gesellschaftlichen Interessen in die andere Waagschale gelegt. Bei gewichtigen Interessen des Menschen können so auch schwerste Belastungen für Tiere erlaubt sein. Mehr zum Thema Güterabwägung
Die kantonale Kommission für Tierversuche wird hinzugezogen, wenn ein geplanter Tierversuch mit Schweregrad 1 bis 3 durchgeführt werden soll. Sie überprüft das Gesuch der forschenden Personen und gibt eine Empfehlung ans Veterinäramt, das dem Antragsstellenden den Entscheid mitteilt. Ausschlaggebend für die Tendenzen der Tierversuchskommission ist deren Zusammensetzung. Im Kanton Zürich beispielsweise können lediglich 3 der 11 Mitglieder auf Vorschlag von Tierschutzorganisationen gewählt werden. Im Zweifel sind die Anliegen der Tiere in der Kommission lediglich mit einer Minderheit vertreten. Mehr zum Thema Bewilligung von Tierversuchen
Die öffentlich zugänglichen Informationen zu den Tierversuchen, die in der Schweiz durchgeführt werden, sind spärlich und darüber hinaus erst nach Abschluss der Versuche verfügbar. Animalfree Research setzt sich für ein öffentliches Register über bewilligte Tierversuche ein. Dieses würde einerseits die Transparenz gegenüber Gesellschaft und Politik erhöhen, andererseits auch Forschenden zu mehr Effizienz verhelfen: Von verschiedenen Forschenden doppelt durchgeführte Versuche könnten so vermieden werden.
Grundsätzlich gilt das Tierschutzgesetz für alle Wirbeltiere. Es räumt dem Bundesrat zusätzlich die Möglichkeit ein, den Geltungsbereich auf einzelne Tierarten oder -gruppen auszudehnen. Dies ist in der Tierschutzverordnung geschehen: Der Anwendungsbereich wurde auf Panzerkrebse und Kopffüsser ausgeweitet. Der Grund dafür ist, dass deren Empfindungsfähigkeit wissenschaftlich belegt ist. Alle weiteren wirbellosen Tiere sind tierschutzrechtlich nicht geschützt. Nicht alle Länder machen diese Unterscheidung: in Deutschland und Österreich fallen alle Wirbellosen unter das Tierschutzrecht.
Aktuelle Entwicklungen
Ausstieg aus belastenden Primatenversuchen
Mit der Motion (22.3001) fordert Meret Schneider (Grüne/ZH), dass Tierversuche an Primaten mit Schweregrad 2 und 3 verboten werden. Primaten können Leid, Schmerz und Angst genau wie Menschen empfinden. Tierversuche in den höchsten Schweregraden würden nebst den körperlichen Symptomen und Belastungen regelmässig auch die Integrität und Würde von Primaten verletzen.